Auf frischer Tat - 2. Folge
by Catherine Dale
Was ist passiert, Kieran? Wer hat dir das angetan?
Ich erinnere mich nicht genau. Jedenfalls nicht ... nicht an das Ende.
Ich weiß, dass ich bei Opa Hurley war, aber danach ist meine Erinnerung irgendwie leer.
Opa Hurley? Den haben wir nicht mehr gesehen, seit er ins Gefängnis musste!
Zehn Jahre muss das jetzt her sein.
DU hast ihn nicht gesehen. Aber ich bin ihm vor ein paar Monaten begegnet.
Wir haben beide an derselben Tankstelle getankt und sind ins Gespräch gekommen.
Ich glaube, ich war neugierig.
Du weißt ja, Mama spricht nie über ihn.
Hast du nicht gedacht, dass es vielleicht einen GRUND gibt, warum sie nie über ihn spricht?
Doch. Und ich wollte den Grund erfahren.
Er ist wegen Diebstahl und Drogenhandel in den Knast gekommen. War das nicht Grund genug für dich?
Ich glaube nicht, nein.
Und was hast du herausgefunden?
Er ist kein böser Kerl, T.
Er ist kauzig, klar, aber er ist seit Jahren raus aus dem Gefängnis.
Er hat eine eigene Autowerkstatt und seine Frau ist wirklich nett.
Die steht auf alle diese Sachen, das Leben nach dem Tod und sowas.
Seine FRAU? Opa Hurley hat wieder geheiratet?
Und du verbringst Zeit mit ihnen?
Mensch, Kieran, ich wusste, du bist merkwürdig und hast ein Geheimnis ...
Aber ich dachte, es ist etwas GUTES, zum Beispiel, dass du schwul bist oder was weiß ich.
Bei Opa Hurley abhängen? Das ist einfach schräg!
Er ist ein guter Kerl.
Er arbeitet richtig fleißig, um sein Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.
Warum hast du mir das eigentlich nie erzählt?
Dachtest du etwa, das interessiert mich nicht?
Es hätte dich vielleicht interessiert, oder du hättest es Mama und Papa erzählt.
Du bist eine ziemliche Regelbefolgerin, T. Du gehst nicht gerne Risiken ein.
Dafür bist du ein Regelbrecher, und du siehst ja, was dadurch aus dir geworden ist!
Shit, tut mir leid, das war ...
Die Wahrheit? Ich meine, ich bin tot. Weil ich Regeln verletzt habe. Du hast recht, T.
Verdammt, hör auf zu weinen, Tia. Bitte. Ich habe nur endlich mal zugegeben, dass du mit etwas recht hattest.
Du solltest feiern!
Ich kann es einfach nicht fassen -- nein. Wir müssen uns konzentrieren. Du sitzt in der Patsche und brauchst Hilfe.
Tia geht von der Birke weg und zum Haus.
Ungeduldig wischt sie mit ihrer freien Hand die Tränen weg.
Tia! Wo gehst du hin?
Was denkst du denn?
Wenn das der letzte Ort ist, an den du dich erinnerst,
dann gehe ich rüber und finde heraus, was los ist!
Nein! Um Gottes Willen, sei nicht dumm!
Wenn mir an diesem Ort etwas Böses zugestoßen ist,
dann solltest du genau dort NICHT hingehen.
Du hast gesagt, du hängst bei ihnen rum!
Wenn wir rausfinden wollen, was passiert ist, dann müssen wir irgendwo anfangen.
Nein! Tia, verdammt noch mal! Nein!
Der Bildschirm von Tias Handy blinkt, dann bekommt er Risse von einer Ecke bis zur anderen.
Entsetzt lässt sie das Handy fallen.
Dann hebt sie es auf und starrt es einen Augenblick an ...
... und tippt weiter.
Warst du das? Hast du gerade MEIN HANDY KAPUTTGEMACHT?
Kieran? Geht es dir gut?
Ich habe es dir doch gesagt: Es fällt mir schwer, ich selbst zu bleiben.
Ruhig zu bleiben und Dinge zu durchdenken.
Es tut mir leid. Ich wollte das nicht.
Du kannst also Dinge TUN?
Außer SMS schreiben?
Weiß nicht. Ich denke schon, oder?
Aber das habe ich vorher noch nie getan.
Ich hatte nicht einmal die Absicht, es zu tun.
Wow. Das ist wirklich toll. Was kannst du denn sonst noch?
Versuchst du gerade, mich abzulenken?
Glaubst du etwa, ich merke es nicht, dass du im Haus bist und deine Schlüssel suchst?
Du brauchst Hilfe.
Ich werde dir helfen. So einfach ist das.
Also -- egal, ob du abgelenkt bist oder nicht, ich gehe rüber zu Opa Hurley.
Tia, bitte.
Hast du eine bessere Idee?
Seine Frau! Aurora! Ich glaube, das ist sicherer, und ich habe ihre Handynummer.
Du könntest ihr einfach eine SMS schreiben und schauen, was läuft. Finde heraus, was sie weiß.
Okay. Das wäre zumindest der ERSTE Schritt.
Ich bleibe ganz cool. Mal sehen, was sie weiß.
Vielleicht spuckt sie etwas aus.
Sie hat hiermit nichts zu tun, T. Sie ist nicht der Feind.
Was macht dich da so sicher?
Du hast gesagt, du kannst dich an nichts erinnern.
Wenn das alles bei ihr passiert ist, dann wette ich, dass sie beteiligt ist.
Wie ist ihre Nummer?
Ich habe sie in dein Handy eingegeben. Sie heißt Aurora Hurley.
Du bist ja echt gut darin, ... ein Geist zu sein.
Verdammt, Kieran, ich will NICHT, dass du darin gut bist!
Ich will, dass du richtig, richtig gut darin bist, praktische Scherze zu machen.
Dann könntest du nämlich die Tür öffnen und reinkommen, um mich auszulachen.
Und ich würde dich nach Strich und Faden verprügeln und auf dich sauer sein, vielleicht monatelang oder jahrelang.
Aber du wärst HIER.
Es würde dir gut gehen.
Ja. Das möchte ich auch. Aber es wird nicht passieren, T.
Tia nimmt einen tiefen, zitternden Atemzug, dann zieht sie eine leere Textnachricht hoch.
Sie tippt:
Hallo. Es klingt vielleicht seltsam, aber -- hier ist Kierans Schwester Kia.
Kann ich mit Ihnen sprechen?
Tia. Ach, Schätzchen. Ich freue mich so, dass du Kontakt zu mir aufgenommen hast.
Und dein Verlust tut mir sehr, sehr leid.
Mein Verlust? Kieran ist nur vermisst.
Er ist weggelaufen oder so. Bald kommt er zurück.
Ach. Ach, mein Herzchen, ich bedaure, aber das glaube ich nicht.
Tia steckt das Handy in ihre Tasche.
Dann sagt sie laut zu sich selbst:
Das glaubst du nicht, was?
Und warum genau glaubst du es nicht?
Sie geht zur Tür.
Das werden wir bald herausfinden.
Sie steigt in ihr Auto, die Trauer weicht der Entschlossenheit.
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