Aufnahme - Folge 1
by Calla Gordon
Kaley schaut auf die Uhr.
Es ist 22:08 Uhr.
Das neue Mädchen sollte sich pünktlich um zehn in das Zoom-Meeting einloggen.
Sie ist spät dran.
Kaley blickt finster.
Auf ihrem Laptop beten die anderen Mitglieder des Ozeanclubs ihre Beschwerden herunter.
Wo ist sie?
Das ist SO beleidigend.
Ich schlage vor, wir legen auf.
Sie ist zu spät – sie hat ihre Chance verpasst.
Finde ich auch. Es ist eine Ehre, für unsere Gruppe auch nur in Erwägung gezogen zu werden.
Zu unserer Aufnahme zu spät zu kommen ist wie ...
Ein totaler Schlag ins Gesicht!
Kaley will gerade zustimmen ...
Als ihr Computer piept ...
Und einen neuen Teilnehmer im Meeting ankündigt.
Ein unscharfes Bild einer Brünetten in Trainingskleidung taucht auf.
Das Haus, in dem sie sich befindet, ist so dunkel ...
Das ihr Gesicht in silberweißes Licht getaucht ist.
Emmas nervöse, wackelige Stimme ertönt aus dem Lautsprecher.
Hallo? Funktioniert es?
Mann, ENDLICH! Wir warten schon ewig!
Weißt du, wir haben noch andere Dinge zu tun.
WICHTIGE Dinge.
Warum hat das so lange gedauert?
Kaley verschränkt die Arme und nimmt Emma fest in den Blick.
Die Antwort darauf würde ich auch sehr gern hören.
Die Mädchen in unserer Gruppe kommen aus einigen der einflussreichsten Familien in den Hamptons.
Wenn man zum Ozeanclub gehört, wird man zu den besten Partys eingeladen …
Und man kommt in Kontakt mit den richtigen Leuten.
Du solltest darum betteln, ein Teil dieser Gruppe werden zu dürfen …
Nicht an deinem ersten Tag 10 Minuten zu spät kommen.
Du hast Recht. Es tut mir SO leid.
Ich habe mich verfahren und dann war Vibert Road wegen Bauarbeiten gesperrt.
Mit dem Fahrrad habe ich für den Umweg ewig gebraucht und –
Du bist mit dem FAHRRAD gefahren?
Äh, ja …
Meine Mutter hat das Auto für ihre Nachtschicht im Krankenhaus gebraucht.
Die anderen Mädchen werfen sich einen Blick zu.
Emma rutscht nervös hin und her.
Ist das ein Problem?
Kaley lächelt kalt.
Keineswegs. Es ist nur ... anders.
Keine unserer Mütter arbeitet.
Aber das ist in Ordnung, wirklich.
Wir mögen Frauen, die hart arbeiten.
Was wir NICHT mögen, sind Verspätungen.
Emma lässt die Schultern sinken.
Oh. Nun, ich schätze, ich werde einfach –
ABER …
Als Präsidentin des Ozeanclubs …
Erwäge ich, diesen kleinen Fehler zu vergessen …
WENN du dich heute Abend gut anstellst.
Emma atmet vor Erleichterung tief aus.
Danke, danke, danke!
Das wirst du nicht bereuen!
Ich werde mein Bestes geben und –
Kaley hält eine Hand hoch und presst die Lippen aufeinander.
Wir haben es verstanden. Fang ... einfach an.
Okay, also erklär mir noch einmal, was ich tun soll?
Wie ich dir bereits gesagt habe …
Muss jedes neue Mitglied des Ozeanclubs …
Eine Aufgabe absolvieren, um aufgenommen zu werden.
Ich bin von der River-Terrace-Klippe gesprungen.
Ich habe bei Tristan Bakers Abschlussparty einen Striptease hingelegt.
Und von meiner Mutprobe reden wir lieber gar nicht.
Caroline wirft den anderen Mädchen einen drohenden Blick zu ...
Und warnt sie damit, den Mund zu halten.
DEINE Aufgabe …
Ist es, in das alte Kinisky-Haus einzubrechen.
Erledigt! Die Vordertür stand bereits offen.
Kinderleicht.
Du bist noch nicht fertig.
Es geht das Gerücht um …
Dass es im zweite Stock ein Schlafzimmer voll alter Abendkleider gibt.
Du musst eines der Abendkleider anziehen und damit das Haus verlassen.
Okay, kein Problem!
Emma schaltet eine Taschenlampe an.
Oh, und noch eins:
Eine Taschenlampe ist nicht erlaubt.
Das wäre viel zu einfach.
Emma guckt sich nervös in dem gruseligen Haus um.
Ist das auch bestimmt sicher?
Nun, das Haus WURDE vor Jahren für abrissreif erklärt.
Aber das macht ja gerade den Reiz aus.
Du hast nicht zu viel Angst, oder?
Denn du kannst sonst aussteigen.
Natürlich könnten wir dich dann nicht in unsere Gruppe aufnehmen.
Ja, das ist nur fair.
Emma atmet tief ein.
Nein. Es ist okay. Ich kann das machen.
Emma schaltet die Taschenlampe aus –
Und wird so zurück in die vom Mond erhellte Dunkelheit geworfen.
Dann geht sie weiter in das Haus hinein.
Die Dielen ächzen unter ihrem Gewicht.
Achte darauf, dass wir sehen können, was du machst!
Emma hält ihr Telefon so, dass die anderen ihren Fortschritt sehen können.
Sie stößt in der Dunkelheit gegen etwas und schreit auf.
Geist?
N-nur ein Tisch. G-glaube ich.
Schließlich erreicht Emma die Treppe.
Die Treppe ist verrottet, schief und weist ein paar große Lücken auf.
Emma geht eine Stufe nach oben –
Und das Brett quietscht laut.
Sie macht einen weiteren Schritt ...
Und dann noch einen.
Das scheint mir nicht sehr stabil zu sein …
Kann ich stattdessen einen Striptease machen?
Wenn die Aufgaben einmal verteilt wurden, können sie nicht mehr geändert werden.
Aber du musst es nicht machen, wenn du dich nicht wohl dabei fühlst.
Halt die Klappe, Brynn!
Natürlich muss sie es machen.
Du hast die Hälfte bereits hinter dir.
Geh einfach weiter.
Und lass dir nicht die ganze Nacht Zeit damit.
Emma steigt höher.
Sie ist fast oben –
Als es laut kracht.
Der Bildschirm steht Kopf –
Wackelt und dreht sich –
Dann poltert das Telefon auf den Boden –
Und bleibt schließlich liegen.
Auf dem Bildschirm sind ein paar Dachsparren zu sehen.
Oh mein Gott!
Was ist passiert?!
Ist sie …
Nein, sprich das nicht aus!
Aber es ist offensichtlich, oder?
Sie steht nicht auf!
Wir müssen die Polizei rufen!
In Ordnung, beruhigt euch alle.
Kaleys Ruf bringt die Gruppe zum Schweigen.
Sie rückt näher an den Bildschirm heran.
Emma! EMMA!
Keine Antwort.
Ich sage es euch, sie ist tot oder bewusstlos.
Brynn fängt an zu wimmern …
Und Violet sagt immer wieder „Oh mein Gott“.
Haltet einfach eine Minute die Klappe, damit ich nachdenken kann!
Kaley drückt sich die Finger an die Schläfen.
Okay, also, es ist klar, dass Emma entweder tot oder schwer verletzt ist.
Das ist schrecklich und wir haben nicht gewollt, das so etwas passiert.
Richtig?
Kaley schaut nacheinander jedes Mädchen auf ihrem Bildschirm an.
Sie nicken alle.
Aber wir können nicht die Polizei rufen.
Was?!
Denkt mal darüber nach –
Wir haben Emma gesagt, zum Kinisky-Haus zu fahren –
Und jeder hier weiß, dass es für abbruchreif erklärt wurde.
Sie hat gesagt, sie will es nicht machen, und wir habe sie gezwungen.
Wir haben sie nicht gezwungen!
Sie hätte jederzeit aussteigen können!
Ein Staatsanwalt wird das nicht so sehen.
Er könnte glauben, dass sie keinen Rückzieher aus der Mutprobe machen konnte …
Ohne aus der Gruppe geworfen zu werden.
Wir sind alle mitschuldig.
Mein Vater ist ein Senator! Das könnte sein Leben ruinieren!
Das könnte ALLE unsere Leben ruinieren.
Aber wird es überhaupt jemand erfahren?
Das ist ein guter Punkt.
Wir können ihre Leiche nicht einfach dort lassen, stimmt's?
Niemand wird wissen, warum sie in dem Haus war.
Aber Emmas Telefon ist dort.
Wenn sie sie finden, finden sie ALLES.
All die Beweise, warum sie dort ist und was wir gemacht haben.
Wir müssen ihr Telefon holen und es vernichten.
Und wenn Emma nur bewusstlos ist?
Dann …
Müssen wir sie auch vernichten.
Keiner widerspricht.
Okay, also, wer geht freiwillig?
Caroline rutscht unruhig hin und her.
Violet tut so, als würde sie einen Fussel von ihrem Pullover klauben.
Brynn?
Ich habe morgen früh eine Tennisstunde.
Es sollte wahrscheinlich sowieso die Aufgabe der Präsidentin sein.
Kaley schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
Oh, Herrgott nochmal.
Alles muss ich selber machen.
Eine halbe Stunde später
Kaley richtet ihr Telefon.
Könnt ihr mich alle sehen?
Ein Chor der Zustimmung ertönt aus dem Telefon.
Gut. Ich gehe rein.
Pass bloß auf, Kaley!
Und geh nicht die Treppe hoch.
Keine Sorge. Ich bin nicht so dumm wie Emma.
Kaley geht durch das dunkle Haus –
Ihre Taschenlampe huscht über die Ruine.
Hol einfach das Telefon und verschwinde von dort!
Ich suche es. Ich sehe es nirgendwo.
Dort ist es! In der Ecke!
Kaley richtet die Taschenlampe blitzschnell in die Ecke.
Tatsächlich, das Telefon liegt dort.
Kaley atmet erleichtert aus und hebt es hoch.
Perfekt. Ich gehe raus.
Warte einen Moment …
Wo ist ihre Leiche?
Was?
Emmas Leiche. Ich sehe sie nicht.
Kaley dreht sich im Kreis.
Aber Emma ist nirgendwo zu sehen.
Ich verstehe es nicht.
Wo ist sie hin?
Genau in diesem Moment schreit Kaley auf –
Danach verschwindet sie aus dem Bildschirm.
Ihr Telefon poltert –
Und landet dann mit dem Gesicht nach unten.
Brynn, Violet und Caroline kreischen und schreien.
Oh mein Gott, Kaley!
Kaley, alles in Ordnung?
Sag etwas, Kaley!
Jemand hebt das Telefon hoch.
Nur ist es nicht Kaley.
Emma lächelt in den Bildschirm.
Blut läuft aus einer Schnittwunde an ihrem Kopf.
Emma!
Oh mein Gott, du bist, du bist –
Nicht tot. Nur bewusstlos
Aber danke, dass ihr mich hier verrotten lassen wolltet.
Ich wollte die Polizei anrufen.
Ich wurde überstimmt!
Halt die Klappe, Brynn.
Du hast genauso zugestimmt wie wir alle.
Was ist mit Kaley?
Ist sie in Ordnung?
Du weißt, dass wir nicht wirklich vorhatten, dich dort zu lassen, oder?
Wir haben Geld.
Wie viel willst du, damit du den Mund hältst?
Haltet alle die Klappe!
Violet, Caroline und Brynn schweigen …
Und schauen einander schockiert an.
Kaley ist tot.
Ich nehme ihr Handy.
Niemand wird je erfahren, was mit ihr passiert ist …
Oder warum sie in dieses Haus gegangen ist …
Oder was ihr mit mir gemacht habe.
Ihr dürft eure perfekten kleinen Leben behalten.
Klingt das gut?
Die anderen Mädchen nicken nervös.
Es wird alles so bleiben, wie es war.
Mit einer Ausnahme:
ICH bin jetzt die Präsidentin des Ozeanclubs.
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