Höhere Zauberei - Folge 1
by Kayla Parent
Ich bin von Seth Major geradezu besessen.
Er ist ein hochberühmter, sehr talentierter Musiker,...
... und heute werde ich vorsprechen, um seine persönliche Assistentin zu werden.
Ich habe mich tagelang darauf vorbereitet,...
... und als ich den FaceTime-Anruf seiner Managerin annehme,...
... habe ich das Gefühl, rundum und total vorbereitet zu sein.
Hallo, Janet –
Mir bleiben die Worte im Hals stecken, und ich ringe nach Luft.
Denn nicht Janet ist es, deren Gesicht mich anschaut.
Sondern es ist das von SETH!
Ich springe von meinem Stuhl auf und lasse beinahe mein Telefon fallen.
ACH DU HEILIGE SCHIEISSE!
DU... BIST... SETH MAJOR!
Seth zeigt mir ein kleines Lächeln.
Ja – ich hab' letztens erst nachgeschaut.
Ich verschlinge das Bild seines makelloses Gesichts mit meinen Augen.
Mein Puls ist auf 180 vor Schrecken und Erschütterung.
A-aber warum rufst du mich an?
Nun schaut er etwas seltsam drein.
Wolltest du nicht vorsprechen, um meine Assistentin zu werden?
Ja, schon, aber ich dachte, ich würde mit Janet sprechen!
Ich habe Janet gesagt, dass ich es für das Beste halte, wenn ich persönlich mit dir spreche.
Immerhin würden wir eine Menge Zeit gemeinsam verbringen.
Ich lege mir die Hand aufs Herz.
Meine Brust wogt.
Er betrachtet mich mit einem skeptischen Blick.
Hättest du damit ein Problem?
Ich hole tief Luft.
Und zwinge mich dazu, mich zusammenzunehmen.
Nein! Natürlich nicht!
Ich hatte einfach nur nicht mit dir gerechnet.
Ich meine, ich hätte mir dann etwas anderes angezogen!
Verwirrt legt er seine Stirn in Falten.
Weshalb?
Begreifend, was ich da gesagt habe,...
... wische ich seine Worte weg.
Ist nicht so wichtig.
Entschuldigung. Lass' uns anfangen.
Nach einem Augenblick nickt er.
Also, wie du sicher schon von Janet gehört hast,...
... gibt es drei wesentliche Dinge, die ich von einer Assistentin erwarte.
Ja, das weiß ich!
Darauf habe ich mich vorbereitet!
Richtig.
Dein Leben ist hektisch, und dein Zeitplan ist es auch.
Du brauchst also jemanden, der anpassungsfähig ist.
Jemanden, der auf jede Situation vorbereitet ist.
Ich spreche es mit einem Lächeln aus,...
... doch es verblasst schnell.
Dadurch, dass ich bei seinem Überraschungsanruf ausgeflippt bin,...
... habe ich das genaue Gegenteil davon getan.
In seinen Augen erkenne ich, dass er denselben Gedanken hat.
Ähm – ob du es glaubst oder nicht,...
... eigentlich bin ich sehr anpassungsfähig.
Seth schaut nicht eben überzeugt drein.
Kannst du mir ein Beispiel nennen?
Natürlich.
In meinem letzten Job war ich die persönliche Assistentin des Chefs.
Er war viel unterwegs, und einmal haben sich seine Pläne in letzter Minute geändert.
Ich hatte eine Stunde Zeit, um aus einer zweiwöchigen Reise nach China...
...einen dreiwöchigen Aufenthalt in London zu machen.
Lass' mich raten: Du hast es in der einen Stunde geschafft?
Nach genau 33 Minuten hatte ich alles geregelt.
Seth lacht,...
... und ich juble innerlich.
Beeindruckend.
Welches Unternehmen war das?
Es war "Sound Bite Recordings".
Seth verzieht das Gesicht.
Dieses Unternehmen ist berüchtigt, weil es Musikdiebstahl betreibt.
Die Leute, die dort arbeiten, sind kriminell.
Mir sinkt das Herz in die Hose.
Davon habe ich erst erfahren, nachdem ich gegangen war.
Damals hatte ich keine Ahnung, was da gelaufen ist.
Seth nickt, schaut aber immer noch leicht sauer drein.
Na toll. Jetzt wirke ich auch noch nachlässig, als ob ich nicht auf Details achtgeben würde.
VERDAMMT! Ich muss die Situation retten!
Nun gut. Als nächstes suchst du jemanden, der mehrere Aufgaben zugleich erledigen kann.
Und das klingt total nach mir!
Ich würde mich selbst sogar als "Supertaskerin" bezeichnen!
Seth legt den Kopf schief und lächelt.
Eine Supertaskerin? Was ist das?
Das heißt, dass ich sogar BESSERE Ergebnisse schaffe, wenn ich mehrere Dinge auf einmal laufen habe.
Eine Supertaskerin–
In diesem Moment...
... wird draußen ein Rasenmäher angeworfen.
Seth hebt seine Augenbrauen; offensichtlich kann er es hören.
Ähm, entschuldige.
Ich mache nur schnell das Fenster zu.
Ich stehe auf, halte das Telefon hoch...
... und gehe in Richtung Fenster.
Doch ich bin dermaßen abgelenkt,...
... dass ich über den Teppichrand stolpere.
Ich stoße mir dem Kopf und schaffe es gerade noch, mein Telefon aufzufangen, bevor es zu Boden fällt.
Voller Panik bringe ich mich wieder ins Blickfeld.
Tut mir furchtbar leid!
Wie bitte?!
Ach ja – er kann mich nicht hören, wegen des Rasenmähers.
TUT MIR LEID!
KLEINEN MOMENT NOCH!
Ich lege das Telefon aus der Hand und laufe zum Fenster.
Rasch schließe ich es, laufe zurück und nehme das Telefon wieder zur Hand, dann gehe ich zurück an meinen Schreibtisch.
Ich lehne das Telefon gegen den Laptop, bevor ich mich hinsetze.
Doch vor lauter Hast...
... verfehlt mein Hinterteil den Stuhl um ein gutes Stück,...
... und ich lande hart auf dem Boden.
AUTSCH!
Ich seufze, dann fasse ich den Stuhl und ziehe mich daran empor.
Als ich mich gefasst habe und wieder auf den Bildschirm schaue,...
... starrt Seth mich an, als ob ich verrückt wäre.
Ist alles in Ordnung bei dir?
Ja, mir geht's gut!
Entschuldige vielmals.
Wo waren wir stehengeblieben?
Seth räuspert sich.
Beim Multitasking.
Ich schließe die Augen und atme hörbar aus.
Der zweite Treffer gegen mich.
Sonst bin ich nicht so unbeholfen. Das schwöre ich.
Zu meiner Überraschung lacht er.
Ach; das kann doch dem Besten von uns passieren.
Bei diesem einen Auftritt in New York bin ich die Treppe hinuntergefallen.
Ich lächle vorsichtig.
Daran kann ich mich sogar noch erinnern.
Aber sonst war die Show wirklich großartig.
Hast du sie gesehen?
Ja, ich war dort.
Diese offene E-Akkordfolge in deinem Song "Fly Away" war phänomenal.
Du bist ein hohes Risiko eingegangen, und es hat sich hundertprozentig ausgezahlt.
Seths Augen strahlen auf.
Hey! Du weißt ja echt Bescheid.
Das finde ich cool.
Ja, ich spiele selbst ein bisschen.
Ich habe sogar ein paar Songs gemacht.
Wirklich?
Ja, ich hab' sogar ein ganzes Album zusammengestellt.
An dem E-Akkord habe ich selbst gearbeitet...
Mir bleiben die Worte im Hals stecken.
Verdammt!
Janet hatte mir ausdrücklich geraten, das nicht zu erwähnen!
Seth bekommt dauernd Anrufe von Leuten, die möchten, dass er sich ihr Material anhört,...
... und ich möchte nicht, dass er einen falschen Eindruck von mir bekommt.
Ich schüttle mit dem Kopf und ordne meine Gedanken neu.
Wie dem auch sei,...
Plötzlich piept mein Telefon und meldet einen Anruf.
Es ist meine Mutter.
Was ist bloß in sie gefahren, jetzt anzurufen?!
Sie weiß doch, dass ich heute dieses Gespräch habe!
Leslie?
Entschuldige bitte. Nur eine Minute.
Ich strecke die Hand aus und lehne den Anruf meiner Mutter ab.
Doch ich muss die falsche Taste getroffen haben,...
... denn plötzlich erscheint ihr Gesicht auf dem Bildschirm.
LESLIE!
Wie ist dein Interview gelaufen?
Mir fällt die Kinnlade herunter.
Mama, leg' sofort auf!
Ich hatte nicht vor, dich hinzuzu–
Ach du meine Güte!
SETH MAJOR!
Meine Mutter winkt vor dem Bildschirm herum wie eine Irre.
Ähem,... hallo...
Leslie, du hättest mir Bescheid sagen sollen, dass du mich zu deinem Gespräch einlädst!
Das hatte ich gar nicht vor–
Seth, ich bin ein großer Fan von dir.
Ich liebe deine Musik einfach.
Ich höre sie gern, wenn ich unter der Dusche stehe.
OH MEIN GOTT.
MAMA, LEG' AUF!
Heißt das, dass du den Job bekommen hast, Schatz?
DAS GESPRÄCH IST GERADE IM GANGE!
Oh, verstehe.
Du hast mich angerufen, um eine persönliche Empfehlung zu machen!
ABER DU HAST MICH DOCH ANGE–
Leslie wäre eine wunderbare Assistentin, Seth!
Sie ist dein GRÖSSTER Fan.
Seth lächelt.
Ich sterbe innerlich.
Ist das wahr?
Mama, bitte–
Sie hat ihr Zimmer mit Postern von dir vollgepflastert.
Sie hat jedes einzelne deiner Konzerte auf Band und schaut sie sich immer wieder an.
Sie war wirklich BESESSEN!
MAMA!
Sie war 16, als du diesen Spring-Break-Auftritt in Cancun hattest.
Auf dem du dein Hemd ausgezogen und in die Menge geworfen hast; erinnerst du dich?
Meine Mutter lehnt sich listig grinsend zurück.
Nun ja; lass' uns einfach sagen,...
... dass das genau der Augenblick war, als sie zu einer Frau geworden ist.
Seths Augen weiten sich, dann richtet er sie auf mich.
Ich strecke meine zitternden Finger aus...
... und versuche, meine Mutter aus dem Gespräch zu werfen.
Es wäre ein Fehler, sie nicht einzustellen!
Sie ist—
Endlich gelingt es mir, sie aus der Leitung zu werfen.
Ein paar unfassbar peinliche Augenblicke...
... starren Seth und ich einander einfach nur an.
Ich erkenne auf dem Bildschirm, dass mein Gesicht knallrot ist.
Tut mir unglaublich leid, Seth.
Das war wirklich komplett unprofessionell.
Sie hat mich angerufen, und ich habe sie versehentlich in unser Gespräch hineingebracht.
Er beißt sich auf die Lippe, dann lacht er.
Das ist schon in Ordnung.
Sie erinnert mich an meine eigene Mutter.
Wirklich?
Als ich gerade begonnen hatte,...
... hat sie darauf bestanden, jedesmal mitzukommen, wenn ich ein Vorspielen hatte.
Immer, wenn ich abgelehnt wurde,...
... hat sie draußen vor dem Büro gewartet, nur um die Produzenten anzuschreien.
Mütter sind unsere größten Fans.
Ich seufze.
Welch ein Glück für mich, dass er so lässig darauf reagiert.
Doch es ist nicht zu leugnen, dass das Gespräch katastrophal läuft.
Wie auch immer. Lass' uns zum Thema zurückkommen.
Das dritte, worauf du bei einer Assistentin Wert legst,...
Als mir einfällt, was es war,...
... dreht sich mir der Magen um.
Ich kann mich nicht dazu durchringen, die Worte auszusprechen.
Doch zum Glück hilft Seth mir weiter.
Keine Fangirls.
Ich presse die Lippen zusammen und nicke.
Seth lächet mir ein bedauerndes Lächeln zu.
Ich schätze mal, dieses Vorsprechen ist nicht ganz so gelaufen, wie du geplant hattest.
Ich schüttle den Kopf.
Nein, überhaupt nicht.
Es war so ziemlich das Gegenteil dessen, was ich geplant hatte.
Sieh mal, du scheinst zwar ein wirklich toller Mensch zu sein.
Aber ich glaube, für diese Position bist du nicht die Richtige.
Ich nicke und schaue auf meinen Schoß.
Ach wenn ich wusste, dass es so kommen würde,...
... tut es trotzdem immer noch weh.
Das verstehe ich schon.
Tut mir wirklich leid, deine Zeit vergeudet zu haben.
Er beginnt erneut zu sprechen,...
... doch dann schaut er auf sein Telefon.
Hast du eine Sekunde Zeit?
Natürlich.
Er nimmt einen anderen Anruf entgegen,...
... und ich schlage mit dem Kopf auf meine Tischplatte.
Gerade ist mir die Chance meines Lebens durch die Lappen gegangen!
Ich dummes, dummes, dummes Ding!
Minuten verstreichen.
Und ich frage mich, ob er mich schon vergessen hat.
Ich sollte einfach auflegen.
Eigentlich hat er mir ja schon gesagt, dass ich den Job nicht bekomme.
Aber ich kann doch nicht AUFLEGEN, wenn Seth Major mich darum gebeten hat, abzuwarten.
Je mehr Zeit vergeht,...
... desto tiefer versinke ich in meine Niedergeschlagenheit.
Ich lasse mein Telefon auf dem Schreibtisch liegen,...
... lasse mich auf mein Bett fallen und fange an, eine Melodie vor mich hinzusummen.
Singen hat mir immer Trost gespendet, wenn ich traurig war,...
... also beginne ich, mein Lieblingslied, "Move Forward", mit voller Kraft hinauszuschreien.
Denn wenn es eine Sache gibt, die ich im Moment unbedingt tun muss,...
... dann dies.
Ich verliere mich so tief im Liedtext,...
... dass ich beinahe das Klatschen überhöre.
Eine Sekunde lang frage ich mich, woher es kommen mag.
Doch dann fällt es mir ein.
Ach du liebes bisschen!
Seth!
Ich haste zurück zu meinem Schreibtisch.
Seth ist wieder auf dem Bildschirm erschienen – und er grinst bis über beide Ohren.
Verflixt nochmal!
Du hast eine umwerfende Stimme!
Ich setze mich hin, noch halb benommen.
Eigentlich hättest du das nicht hören sollen.
Ich dachte, du würdest ein anderes Gespräch führen.
Er beachtet es nicht, sondern neigt sich seinem Telefon näher zu.
Dann bist du also Gitarristin, Sängerin UND Songschreiberin?
Ich zwinkere ihm rasch zu.
Ich,... ja.
In meiner Freizeit.
Ich gebe ein paar Auftritte in Clubs hier im Ort und so.
Nichts besonderes –
Schick' mir dein Material zu.
Ich möchte mehr davon hören.
Ich setze mich wieder kerzengerade hin.
Moment mal: Ist das wirklich dein Ernst?!
Du möchtest dir meine Lieder anhören?
Unbedingt.
Das eben hat mich hier ziemlich umgehauen.
Deine Stimme ist... einfach wunderbar.
Er starrt mich an, als ob er mich zum ersten Mal sähe.
Die Intensität, mit der er mich anstarrt, lässt mir ein angenehmes Kribbeln den Rücken hinunterlaufen.
Wow, danke vielmals.
Du kannst dir nicht vorstellen, wieviel mir das bedeutet.
Ich stolpere nicht jeden Tag über eine Stimme wie die deine.
Sie klang beinahe... zauberhaft.
Wieder läuft mir dieses Kribbeln den Rücken hinab...
Lieber Himmel, er hat das Wort 'zauberhaft' verwendet.
Seth und ich lächeln einander sehr vertraut zu.
Er liest in meinem Gesicht, beißt sich auf die Lippe –...
... und plötzlich funkt es durch den Äther zwischen uns.
Seth schüttelt seinen Kopf, als würde er sich selbst aus einer Lähmung aufwecken.
Gut; ich schicke dir meine Mailadresse als Textnachricht.
Moment mal; heißt das, dass ich doch wieder für die Stelle als deine Assistentin in Frage komme?
Er lacht auf, dann lächelt er mir zu.
Nein. Tut mir wirklich leid.
Ist schon in Ordnung –
Aber ich suche noch einen Eröffnungs-Act für meine nächste Tournee.
Eine neue und frische Künstlerin, die durch mich ins Rampenlicht kommen kann.
Und ich glaube, diese Beschreibung trifft ziemlich genau auf dich zu.
Mein Mund bleibt offen stehen, und beinahe falle ich wieder vom Stuhl.
MACHST DU SCHERZE?!
Seth wirft seinen Kopf zurück und lacht wieder.
Ich meine das ganz im Ernst!
Äh – ach du lieber Himmel. ALSO GUT.
Ich schick' es dir sofort zu.
Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen...
... hätte ich damit gerechnet, dass mir aus meiner Musik einmal so eine Chance erwachsen könnte.
Den Job als Assistentin habe ich zwar vielleicht nicht gekriegt,...
... aber wie es aussieht, könnte ich es dennoch schaffen, meinen Traum zu leben.
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